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Große Hilfsbereitschaft


Pflegekinder aus der Ukraine
Ein Suchaufruf nach Pflegeeltern für 50 Waisenkindern aus der Ukraine entpuppt sich als Missverständnis. Aber die Resonanz darauf war enorm.
 
Vor dem Krieg geflohen: Kinder aus der Ukraine vor der Ausländerbehörde in Hamburg // Foto: Christian Charisius/dpa
 

HAMBURG taz | Der Aufruf, der am Freitag durch die sozialen Netze ging, las sich dramatisch. Der Verein „Lebenschance für Kinder“ bitte um Hilfe. Es kämen 50 ohne Eltern zurückgelassene Waisenkinder aus der Ukraine nach Hamburg. Viele seien nicht mal ein Jahr alt. Gesucht würden Pflegeeltern, die die elterliche Fürsorge für diese Kinder übernähmen.


Die dort angegebene Kontaktnummer war dauerbesetzt. Doch auf Facebook waren weitere Nummern zu finden. „Der Aufruf war gut gemeint, aber missverständlich formuliert von einer Person, die ihre Hilfe angeboten hat“, sagt Natalie Ihl, eine der Gründerinnen des bundesweit aktiven Vereins „Lebenschancen für Kinder“. Es habe als Reaktion über 1.000 Anrufe bei der angegebenen Kontaktnummer gegeben. Der Verein wurde völlig überrannt. „Darunter sind auch Eltern, die richtige Fragen stellen“, sagt Ihl. Denn natürlich könne ein Verein nicht Pflegekinder vermitteln. „Das macht das Jugendamt.“


Tatsächlich seien am Samstag 47 Personen aus der Gegend von Saporischschia nach Hamburg gekommen, und zwar 23 Kinder im Alter von zwei bis 15 Jahren in Begleitung ihrer Pflegeeltern. „Wir wollten verhindern, dass diese Gruppe voneinander getrennt wird“, sagt Ihl, die von Beruf Finanzberaterin ist, selbst Russisch spricht und vor 25 Jahren aus Kasachstan nach Deutschland kam. Deshalb habe man nun dafür gesorgt, dass diese in drei Gruppen in Häusern in der Nähe von Bremen und Hamburg unterkamen. „Die Pflegefamilien wurden alle bei den zuständigen Jugendämtern gemeldet“, sagt sie.


Der Verein, der etwa 30 Mitglieder hat, teils mit Wurzeln in der Ukraine und anderen früheren Sowjetrepubliken, wurde erst am 4. März gegründet. Man habe sich zur Aufgabe gemacht, Waisenkinder aus der Ukraine zu evakuieren und in verschiedenen deutschen Städten unterzubringen, heißt es im Erstaufruf. Dort steht auch: „Sind Sie bereit, Kinder bei sich aufzunehmen?“ Und das Angebot, Kontaktdaten zu schicken.


Über 700 Hilfsangebote in Region Hannover

Nur können Pflegeeltern, die mit einem Kind nicht verwandt sind, erst nach einer strengen Prüfung durch das Jugendamt Kinder aufnehmen. Das sei dem Verein bewusst, sagt Ihl. „Wir sagen den Leuten, die Kinder aufnehmen wollen, sie sollen sich bei ihrem Jugendamt vor Ort melden.“ Als zweite Möglichkeit biete der Verein den Menschen an, einen Fragebogen auszufüllen, den der Verein an das Landesjugendamt Bremen weiterleite.

„Wir sehen uns als Unterstützung bei der Vermittlung zwischen Pflegeeltern und Jugendamt.“ Ferner sammelt der Verein Spenden, mit denen die Kinder unterstützt werden sollen. Man habe Kontakt zu weiteren Pflegeeltern mit Kindern in der Ukraine, die, sobald es möglich wird, nach Deutschland kommen möchten.


Die Hilfsbereitschaft ist derzeit groß, diese Erfahrung machte auch die Region Hannover, in der bereits rund 7.500 Menschen mit ukrainischer Staatsbürgerschaft leben. Schon am 4. März hatte der dortige Pflegekinderdienst eine eigene Kontaktadresse für Menschen eingerichtet, die bereit wären, allein reisende Kinder und Jugendliche aus der Ukraine bei sich aufzunehmen, und sie öffentlich bekannt gegeben.


Die Reaktionen seien enorm gewesen, sagt Sprecherin Sonja Wendt. Am ersten Wochenende seien über 700 Angebote eingegangen. Nun sei die Situation aber bislang anders als in der Flüchtlingskrise 2015/16, als es viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gab. Aus der Ukraine kämen die Kinder und Jugendlichen bisher in der Regel in Begleitung von Erwachsenen. „Die Hilfsbereitschaft ist toll, aber momentan gehen wir davon aus, dass wir sie nicht in Anspruch nehmen müssen.“


Jugendamt muss wissen, wo die Kinder sind

„Unbegleitete Minderjährige aus der Ukraine gibt es auf jeden Fall“, sagt hingegen Hellen Sundermeyer vom Bundesfachverband für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Dies sei aber je nach Bundesland unterschiedlich häufig der Fall. So kämen in Berlin mehr junge Menschen an, die von dort auch nicht weiterverteilt werden.


Es kämen auch Kinder in Begleitung Erwachsener, bei denen unklar ist, wer das Sorgerecht hat. Und es gebe auch Eltern, die ihre Kinder zu Freunden in Deutschland schicken. Das sei zunächst für acht Wochen ohne „detaillierte Kon­trolle“ des Jugendamtes möglich. Auch da müsse das Amt davon wissen und sich überzeugen können, dass es ein guter Ort ist.


Die Bremer Sozialbehörde bestätigte auf Nachfrage, dass ihr Landesjugendamt mit „Lebenschancen für Kinder“ im Kontakt steht. „Es ist außerordentlich begrüßenswert, wenn der Verein das Ziel hat, Waisenkindern aus der Ukraine zu helfen und andere zu zivilgesellschaftlichem Engagement aufruft“, sagte Sprecherin Gabriele Brünings. Der Verein sei jedoch kein Träger der Jugendhilfe. Insofern entfalte er seine Aktivitäten selber und nicht in Absprache mit dem Landesjugendamt. „Sobald die jungen Menschen in Bremen seien, kümmere sich das zuständige Jugendamt um sie.“


Der Sprecher der Hamburger Sozialbehörde, Martin Helfrich, sagt, Aufrufe, in denen Organisationen vermeintliche Plätze für die Aufnahme ausländischer Kinder suchen, seien nicht seriös. Sofern die Kinder nach Deutschland kommen, gelten die Regeln der Jugendhilfe nach deutschem Recht. Kinder, die ohne ihre Eltern, aber mit Verwandten dritten Grades wie Onkel oder Tante einreisen, könnten im Wege der „erlaubnisfreien Verwandtenpflege“ von diesen betreut und vertreten werden.


Neue Pflegeeltern müssen sich erst qualifizieren

Auch Kinder, die anderen Personen wie Nachbarn oder Bekannten anvertraut wurden, könnten bei diesen verbleiben. „Dafür ist es sinnvoll, dass die Übertragung der Erziehungsberechtigung schriftlich festgehalten wurde“, sagt Helfrich. Auf dieser Grundlage könne nach einer – in der Regel raschen – Überprüfung beim „Fachdienst Flüchtlinge“ die Erziehungsberechtigung für einen begrenzten Zeitraum wahrgenommen werden. „Alle Pflegepersonen, die nicht mit dem Kind bis zum dritten Grad verwandt sind, werden auf diese Weise überprüft“, sagt der Behördensprecher.


Alle anderen Personen, die ein Kind aufnehmen möchten, müssten sich als „Pflegestelle“ qualifizieren. Hier werde auch in der jetzigen Situation nicht von „Mindeststandards“ abgewichen.

In Hamburg finden die dafür erforderlichen zwei Vorbereitungsseminare im Umfang von jeweils 15 Stunden bei der Hamburger Pflegeelternschule „Pfiff“ statt. „Für Menschen, die sich dafür interessieren und wissen möchten, was Pflegeeltern sein bedeutet, bieten wir regelmäßig Informationsabende an“, sagt der Sprecher der Hamburger Pflegekinderhilfe Ralf Portugal.


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